Die besten Beziehungskiller: Keine Zeit nur für mich

In meinen Gedanken weiß ich, wie ich eine harmonische Partnerschaft leben kann. Ich muss nur klar, offen und liebevoll sein. Und Nähe zulassen. Ich weiß, dass ich all das sein kann, im Alltag stelle ich aber oft fest, dass ich es nicht so umgesetzt bekomme, wie in meiner Kopf-Geschichte. Stattdessen gehe ich immer wieder auf Distanz. Manchmal nur minimal, manchmal sehr deutlich. Oft völlig unbewusst und manchmal bemerke ich es, versuche es aber zu vertuschen und bin dann Pseudopräsent – scheinbar da, aber irgendwie auch doch nicht wirklich. In solchen Momenten habe ich schlicht keine Lust auf meine Partnerin, oder positiv formuliert: Ich brauche Zeit und Raum nur für mich.

Ich muss präsent sein

In mir gibt es die Vorstellung, dass ich in Beziehung präsent sein soll. Und zwar immer. Und es gehört sich, schöne Dinge gemeinsam zu tun. Alleine für mich weg gehen, oder womöglich mit jemand anderem, oder einfach nur mich zurück ziehen, erzeugt ganz schnell ein leichtes Unwohlsein. Es ist schwer es zu benennen, aber es ist spürbar. Eine latente Angst davor, meine Partnerin könnte darüber verärgert sein. „Ich mache etwas Schönes, aber Dich lasse ich nicht daran Teil haben.“ Der vermeintliche Vorwurf schwingt schon in meinen Gedanken bevor ich mich überhaupt traue, weiter darüber nachzudenken. Einige tatsächlich erlebte Situationen dieser Art dienen trefflich als Beweis dafür, dass es so kommen wird. Das die Situationen vielleicht aus einer vergangenen Partnerschaft stammt, spielt dabei für das Gedankenkonstrukt keine Rolle. Und weil eine wütende Liebste so richtig ungemütlich ist, drücke ich das Bedürfnis nach „Zeit und Raum für mich“ regelmäßig weg. Das kann ich gut, darin bin ich geübt. Und es ist vermutlich der Hauptgrund, weshalb meine vergangenen Beziehungen zu Ende gegangen sind.

Noch besser mit Kindern und gemeinsamer Wohnung

In einer Partnerschaft, in der jeder seine eigene Wohnung hat und es keine gemeinsamen Kinder gibt, ist es meist vergleichsweise leicht, mit diesem Beziehungsmuster umzugehen. Wirklich spannend wird es aber, wenn die Partner zusammen leben und es gemeinsame Kinder gibt. Denn nun braucht es meine Präsenz nicht nur für die Partnerin, sondern auch für die Kinder und ich habe keine „natürliche“ Rückzugsmöglichkeit in meine eigenen 4 Wände.

Gleichzeitig gibt es immer wieder den Wunsch, etwas gemeinsames nur mit dem Partner zu tun, die Möglichkeiten sind aber deutliche eingeschränkt, oder schlicht mühsam zu organisieren, denn mindestens einer von uns sollte bei den Kindern bleiben. Gehe ich alleine, ist schnell wieder dieser vorgestellte Vorwurf präsent: „Du gehst und lässt mich hier alleine mit den Kindern sitzen“. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich ähnliche Gedanken habe, wenn meine Partnerin etwas für sich unternimmt. Wenn ich so denke, wird es für sie ja auch so sein.

Mann braucht Alleinsein, Frau braucht Gemeinsam

In meiner Wahrnehmung habe ich deutlich öfter das Bedürfnis nach Zeit und Raum für mich als meine Partnerin, und ich bin der Überzeugung, dass dies für die Mehrzahl der Männer gilt. Ich brauche das Alleinsein als Nährquelle, um mich zu sortieren und wieder aufzutanken. So wie ein Gummiband, dass sich dehnen muss, um mit aller Kraft wieder zurück zu kommen. Im Gegenzug fühlt sie sich besonders dann genährt, wenn wir etwas gemeinsam unternehmen.

Dies kann zu einer prekären Situation führen: Unterdrücke ich mein Bedürfnis und wir unternehmen etwas Gemeinsames, kann ich die gemeinsame Zeit meist nicht wirklich freudig und lustvoll gestalten. Die Unternehmung ist fade, es kommt keine richtige Freude auf, es ist eher wie eine Zwangsveranstaltung bei der ich eigentlich gar nicht sein will. Letztlich verwehre ich damit der Partnerin genau die Nahrung, die ich ihr dadurch versprochen habe, dass ich etwas mit ihr unternehme.

Auf Liebesnahrungs-Entzug

Im Ergebnis sind wir beide unbefriedigt, aber ich kann jetzt sagen: Wir machen doch was Gemeinsames. Was willst Du denn noch?

Ich glaube, sie will meine Präsenz und Freude. In Kombination mit der gemeinsamen Unternehmung ist das pure Liebesnahrung für sie. (Und wenn ich ehrlich bin sind solche Momente auch für mich wundervoll.) Ich dagegen bin energetisch eher auf der Flucht und das bekommt sie natürlich mit. Je mehr ich mein Bedürfnis unterdrücke, umso stärker wird diese Energie und umso stärker wird sie für den anderen spürbar. Obwohl ich physisch anwesend sein mag, bin ich auf allen anderen Ebenen ganz woanders.

Streit als Erlösung

Das Bedürfnis bzw. der Mangel staut sich nun immer weiter auf und je länger ich es unbeobachtet lasse, um so schwerer wird es, meiner Partnerin liebevoll zu begegnen. Ich beginne sie dafür verantwortlich zu machen, dass ich nicht das tue, was ich so dringend benötige. Denn wäre sie nicht da, gäbe es ja nichts, was mich hindern würde. So vergehen Tage und manchmal Wochen, in denen wir beide unterernährt sind. Das ist frustrierend und gemeinsame Begegnungen sind oft angespannt und auf das Minimum reduziert. Eine Kleinigkeit wird dann plötzlich zum großen Streit und endlich darf der ganze Frust raus. Jetzt fällt es mir leicht zu gehen. Erstens brauche ich keine Angst mehr vor der Wut der Partnerin zu haben – sie ist es schon – und zweitens „ist es ja wohl völlig angemessen, wenn jemand so gemein ist und so verletzend mit mir umgeht, dass ich dann gehe“.

In diesem Moment zu gehen ist auch ein Bestrafungsmuster. „Das hast Du jetzt davon, selbst schuld. Mit Dir kann man doch nicht reden. Du regst Dich ständig über Kleinigkeiten auf“ etc. Jetzt kann ich dem anderen die Schuld daran geben, dass ich gehen muss. Ich überliste damit meine Kopfgeschichten und mein schlechtes Gewissen und muss nicht selbst in Verantwortung dafür gehen, mich gut um mich selbst zu kümmern. Habe ich mich bisher immer ein wenig kleiner gemacht, drehe ich nun die Verhältnisse wieder um und stoße sie wieder vom Sockel, auf den ich sie selbst gestellt habe.

Mein Arschengel

Genau genommen ist sie mein Arschengel. Sie gibt mir durch den Streit die Möglichkeit, endlich dass zu tun, was ich schon so lange tun will. Ich mache sie zum Arsch, in Wirklichkeit ist sie aber mein Engel. Leider ist das nur selten so einfach sichtbar und so reagiere ich mit Ablehnung für etwas, wofür Dankbarkeit angebracht wäre.

Die „Kleinigkeit“ mag zwar Auslöser für den Streit sein, aber der wahre Grund ist meine Distanz und die fehlende Verbindung – zu mir selbst und zu ihr. Dadurch bin ich energetisch abwesend und kraftlos und biete somit wenig Sicherheit und Attraktivität als Beziehungs-Gegenüber.

Und nun? Was ist zu tun?

Eine der effektivsten Möglichkeiten dieses Muster zu durchbrechen, ist es, meiner Partnerin all das zu erzählen. Inklusive meiner Bestrafungsmuster. Und ihr von Herzen dafür zu danken, dass sie mein Arschengel ist. Ich lade sie ein, mich an meinen Raum zu erinnern wenn sie die Wahrnehmung hat, dass mir das gut tun würde. Denn manchmal bemerkt sie es eher als ich.

Für mich ist es hilfreich mir wiederkehrende Rituale oder Auszeiten zu verordnen. Morgens eine Stunde raus an die Luft und in die Natur. Nur mit mir und meinem Notizbuch für die Erkenntnisse, die ich dabei gewinne. Einmal in der Woche Männertreffen bringt mir viel Verbindung und Klarheit in einem anderen Kontext. Sport ist hilfreich und dient dazu, überschüssige Wutenergie in Kraft zu wandeln und die Geschichten im Kopf verstummen zu lassen.

Ihr kann ich Sicherheit geben, in dem ich gemeinsame Zeiten mit ihr vereinbare. Sonntagabend ist unser Paarabend – was da genau passiert ist offen, aber wir nehmen uns Zeit füreinander, egal wie viele wichtige Dinge es noch zu erledigen gibt. Donnerstags ist gemeinsames Tanzen.

Die Zeiten dazwischen werden zum kreativen Trainingsraum erklärt. Immer gut darauf achten, was ich gerade brauche und Möglichkeiten dafür finden.

Viel Erfolg und Freude an Deinem eigenen Raum.

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