Die besten Beziehungskiller: Festhalten an untauglichen Konzepten
Wenn ich mich über etwas aufrege, hat es oft damit zu tun, das ein anderer etwas macht, was ich mir selbst nicht erlaube. Dem zugrunde liegt immer ein Konzept oder eine Wertvorstellung, die gar nicht von mir selbst kommt, sondern die ich von Eltern, Schule oder anderen Menschen übernommen habe.
Ein Beispiel. Wenn meine Frau zum Frühstück einen frischen Orangensaft aus 1 Kilo Bio-Orangen presst, rege ich mich darüber auf, dass sie 2,80 € mal eben so weg trinkt. Wirklich schlimm wird es, wenn sie es in einem Zug trinkt. Ohne abzusetzen! „Gehts noch? So etwas Wertvolles muss man doch genießen!“ schreit dann ein ziemlich wütender Teil in mir.
Wertvorstellungen sind Vorstellungen voller Wertungen
Sofort habe ich einen Bauchladen voller (unbewusster) Wertungen parat:
- Du bist verschwenderisch!
- Ich spare mir hier die Wurst vom Brot und Du schmeißt das Geld zum Fenster raus!
- Du machst Dir überhaupt keine Gedanken über unsere Finanzen!
- Du kannst die wertvollen Dinge gar nicht genießen!
- Du hast keine Wertschätzung für die Dinge!
Eine besonders gelungen Kausalkette aus der Wertungskiste lautet:
Du tust Dinge, die ich nicht gut finde.
Du weißt das und tust es trotzdem.
Du nimmst mich und das, was mir wichtig ist, nicht ernst.
Du liebst mich nicht.
Das selbst kreierte Kopf-Drama ist perfekt.
Betrachte ich all diese Wertungen und Schlussfolgerungen mal ohne Opferbrille, ist mir nicht nur klar, dass all dass ziemlicher Mumpitz ist, es ist mir genau genommen auch etwas peinlich. Sind das Gedanken eines erwachsenen Mannes? Würde sie Ähnliches über mich denken, wenn sie wüsste, dass ich im Büro für den gleichen Betrag Studentenfutter nebenher futtere?
Ich bin dann OK, wenn ich mit weniger zufrieden bin
Wenn ich genau hin höre, erkenne ich den kleinen Daniel, der einfach auch gerne einen frisch gepressten Orangensaft hätte. Als Kind hat er so oft nicht das bekommen, auf das er gerade Lust hatte, dass er irgendwann die Mangel-Konzepte und Haltungen übernommen hat. Es war die beste Strategie, um nicht immer wieder den Schmerz von Ablehnung der Bedürfnisse und Wünsche zu erleben. Der daraus resultierende Glaubenssatz lautet „Ich bin dann OK, wenn ich mit wenig zufrieden bin“. Oder auch „Meine Bedürfnisse sind nicht angemessen“ und „Sparsamkeit ist eine Tugend“.
Ich habe all das so verinnerlicht, dass ich selbst dann, als ich nicht mehr von der Erlaubnis der Eltern oder anderer Autoritäten abhängig war, diese Strategie weiter verfolgt habe. Bis heute! Genau genommen verteidige ich diese übernommenen und mir eigentlich widerstrebenden Vorstellungen und wenn jemand es anders macht, wird er mit Ablehnung bestraft. „Du darfst das nicht. Das ist nicht OK.“ So gebe ich die Altlasten meiner Ahnen weiter.
Warum?
Aber warum halte ich so an diesem Verhalten fest?
Das Verhalten wurde über so viele Jahre trainiert, dass es völlig automatisch abläuft. Ein typischer Automatismus. Weil kritische Fragen in solchen Momenten als Kind eher noch mehr Ablehnung hervorgerufen haben, habe ich auch die Frage nach dem „warum“ unterdrückt. Das Einfachste war, die Bedürfnisse einfach gar nicht mehr so richtig zu spüren. Dann können Sie auch nicht enttäuscht werden. Im Heute bedeutet das: Ich merke gar nicht, dass ich eigentlich auch einen Orangensaft haben mag und ich hinterfrage meine Haltung nicht.
Ein Grund ist auch so etwas wie späte Rache. Ich durfte nicht und erlaube es mir heute nicht, also darfst Du auch nicht. Das wäre ja sonst gemein. Die Enttäuschung über die Welt ist in der Kindheit passiert. Die Reaktion ist entsprechend wenig erwachsen.
Ein weiterer Grund ist die Komfortzone und der große Wunsch, so OK zu sein, wie ich bin. Die Verteidigung des Vertrauten. Vielleicht kennst Du den Satz
Lieber das bekannte Unglück, als das unbekannte Glück.
Klingt für mich immer etwas schräg. Ist es auch. Aber ist es nicht letztlich wie die Entscheidung, bei grau kaltem Wetter lieber zu Hause zu bleiben? Die Komfortzone hat mich, obwohl klar ist, dass es jedes Mal gut ist, wenn ich diesen „inneren Schweinehund“ erst überwunden habe und raus gehe.
Mein Verhalten und meine Wertungen sind mir letztlich selbst unangenehm und ich mag mich damit nicht. Gleichzeitig mag ich aber vom Gegenüber gemocht werden. Mich damit zu zeigen wäre also ein viel zu großes Risiko. So verheimliche ich es und behalte es für mich – im wahrsten Sinne des Wortes: Ich behalte es. Es bleibt weiterhin Teil von mir.
Die tägliche Dosis Mangel und Distanz
Was seinerzeit also dazu diente Schmerz zu vermeiden, ist nun die Ursache für neuen Schmerz. Denn anstatt jetzt Fülle zu leben und mir Freude zu gönnen, lebe ich Mangel und Verzicht. Ich bin ausgerechnet auf die Menschen wütend, die mir am nächsten sind und das leben, was ich mir selbst nicht zugestehe.
So beginne ich den Tag mit Wut und Distanz zu meiner Frau genau dann, wenn sie sich eine Freude macht. Ich erzähle ihr nichts davon, denn ein Teil in mir ist beleidigt und der andere erkennt, dass die Heftigkeit meiner Reaktion nicht ganz angemessen scheint. Aber weil ich nichts dazu sage, bleibt es unausgedrückt im Raum und zwischen uns. Ich begegne ihr nicht mehr ganz so offen und liebevoll, versuche es zu verdrängen und zu vertuschen und so ist es nur noch sehr subtil da. Sie spürt es dennoch – vielleicht mehr unbewusst als wirklich fühlbar – kann es deshalb nicht recht einordnen und verstehen und ist sich auch nicht ganz sicher, ob ihre Wahrnehmung stimmig ist. Also spricht sie auch nicht darüber und distanziert sich von der negativen Energiequelle.
Ich mache die Erfahrung, dass meine Frau etwas tut, was gegen „meine Werte“ spricht und sich dann auch noch distanziert.
Aber…
Wenn ich meine Muster so ungeschönt auseinander nehme, meldet sich natürlich schnell das Verteidigungssystem und versucht Recht zu behalten. „Aber im Monat sind das fast 100 Euro!“
Ja und? Du kaufst die Orangen und willst ihr damit eine Freude machen. Was ist das für eine Botschaft?
„Hier ganz viel Freude für dich. Liebe mich dafür und teile dir die Freude bitte so ein, wie ich es für angemessen halte.“?
Du siehst deinen Job als Mann unter anderem darin, deiner Partnerin Sicherheit auf allen Ebenen zu bieten. Wie passen dazu solche widersprüchlichen Botschaften, dein finanzielles Mangelverhalten und emotionale Distanz genau dann, wenn Sie sich gut um sich selbst kümmert?
Geht es wirklich nur um das Geld? Hast du schon bemerkt, dass der Saft zusammen mit dem Latte Macchiato ihr Frühstück ist? Sind 100 Euro nicht ein angemessener Invest in die Gesundheit und Freude deiner Frau?
Wie glücklich könnte euer Tag beginnen, wenn du für sie den Saft auspresst und ihr mit einem Lächeln servierst? Wenn du dir selbst ebenfalls so viel Freude gönnen würdest? Mit der positiven Energie, die du dabei aufnehmen könntest, würdest du weit mehr als zusätzliche 6 Euro am Tag erwirtschaften. Du würdest einen großartigen Beitrag für dein Glück und deine Partnerschaft leisten. Mit Sicherheit würdet ihr beiden eure Energie weiter tragen an eure Kinder und die Menschen die euch am Tag begegnen und diese tragen es wiederum weiter.
Du willst wirksam sein und die Welt bereichern? Das ist eine wunderbare Gelegenheit jeden Tag einen erstaunlich effektiven Beitrag hierfür zu leisten!
Schritt für Schritt
Die beste Methode, überholte Muster wie diese zu verändern und mich weniger zu ärgern ist es, mich damit zu zeigen. Ich sage dem anderen, was ich mache und warum. So klar, offen und ungeschönt es geht. So kann mein Schattenteil nicht mehr unter dem Radar fliegen und hat weniger Macht.
Das bedarf vor allem Mut. Und es ist hilfreich, das Gegenüber zuvor einzuladen und die Absicht klar zu formulieren:
Ich möchte Dir etwas von mir sagen, was ich an mir selbst nicht leiden kann. Ich habe es bisher immer verheimlicht, weil ich Angst davor hatte, Du könntest mich dafür ablehnen. Es hindert mich oft daran, Dir so nahe zu sein, wie ich es gerne wäre. Ich möchte Dir davon berichten und es aus meinem System lassen, weil es mir ein großes Anliegen ist, Dir wirklich zu begegnen. Ich will mich mehr öffnen und einlassen, als es mir bisher jemals möglich war. Kannst Du es gerade hören?
Für das Gegenüber gilt: Du musst einfach nur zuhören. Wenn sich Dir jemand auf diese Weise zeigt, ist es eines der größten Geschenke das er Dir machen kann. Er lehnt sich weit aus seiner Komfortzone und ist bereit sich wirklich zu ändern. Du kannst ihn ermutigen sich weiterhin solchen Herausforderungen zu stellen, im dem Du Dich für dieses Geschenk bedankst.
Was sind Deine Automatismen? Welche Glaubenssätze liegen ihnen zugrunde? Woran hindern sie Dich?
Viel Erfolg beim nächsten Schritt.