Die besten Beziehungskiller: Der Stapel

Meine Partnerin wirft mir vor, dass ich unzuverlässig bin. Und sie hat jede Menge unwiderlegbarer Beweise dafür. Meine Standardreaktion ist, mich zu rechtfertigen oder den Gegenangriff zu starten. Das funktioniert genau genommen nie, aber ich mache es trotzdem. Es ist schwer es anders zu machen.

Wenn ich genau hin spüren würde, hätte ich wahrnehmen können, dass mich der Vorwurf gerade nicht nur wütend, sondern auch ziemlich traurig macht. Denn ich gebe mein Bestes und wünsche mir statt einem Anschiss lieber ein herzliches Willkommen. Es schmerzt. Aber ich sage es nicht. Die Liebste ist im Moment viel zu arschig. Ich gehe lieber auf Distanz und versuche es mit wegschlafen zu kurieren.

Den Schmerz packe ich auf meinen Stapel. Zu jedem Menschen mit dem ich in Beziehung bin, sei es privat oder beruflich, habe ich einen. Auf diesen Stapel lege ich all das, was ich dem anderen nicht sage. All das, was mich stört oder verletzt hat, was mich traurig macht oder ärgert.

Ich sage dem anderen nichts

  • aus Angst vor erneuter Verletzung
  • aus Rache, um ihn zu bestrafen für das, was er mir angetan hat,
  • weil ich denke, dass der andere ja Recht hat, das ich wirklich selbst Schuld bin,
  • oder weil ich einfach nicht weiß, wie ich das sagen kann, was mich bewegt.

Auch sehr beliebt bei Menschen, die sich intensiv mit sich selbst auseinander setzen:
„Wenn ich erkenne, dass mich das Verhalten des anderen so frustriert, dann muss ich ja noch ein ungeklärtes Thema in mir haben. Darum muss ich mich kümmern, ansonsten würde ich souverän mit dieser Situation umgehen können.“ Ich übersehe dabei aber, dass es im Moment einfach weh tut. Damit übergehe ich mich und ignoriere, wie ich wirklich bin. Der Schmerz kommt trotzdem auf den Stapel.

Der Stapel ist die Ablage für Ungeklärtes. Er wächst unaufhörlich vom ersten Tag an. Am Anfang meiner Beziehung meist unbemerkt, aber nach einigen Monaten wird er sichtbar. Wenn mir zum ersten Mal bewusst wird, dass mich ein bestimmtes Verhalten schon seit einiger Zeit nervt, oder wenn ich Gründe finde, weshalb ich zur Verabredung am Sonntag nicht kommen kann, nur um nicht sagen zu müssen, dass ich eigentlich gerade keine Lust auf Dich habe. Die große Begeisterung für den anderen wird weniger, die störenden Macken mehr.

Den Stapel trage ich ständig bei mir. Wobei ich ihn möglichst weit weg von meiner bewussten Wahrnehmung packe. Er ist ein Haufen blockierter Energie. Energie, die eigentlich nur fließen will, aber ich halte sie unbewusst fest. Und damit all den Ärger, Schmerz, Angst und Traurigkeit, die darin steckt.

Irgendwann ist der Stapel größer als meine Liebe und spätestens dann wird es anstrengend. Die ersten großen Auseinandersetzungen sind dann eine Möglichkeit, endlich mal die Dinge auszusprechen, die ich mir bisher nicht getraut habe zu sagen. Das kann den Stapel etwas erleichtern. Oft ist nach heftigen Auseinandersetzung die Luft klarer. Wir begegnen uns freier, nicht mehr so blockiert vom altem Schrott. Aber schon bald kommt erneut der schon bekannte Vorwurf und er landet wieder auf dem Stapel. Wir bauen zusätzlich noch eine äußere Schutzschicht auf, eine Art unsichtbaren Panzer. Der soll mich schützen vor solchen Angriffen bzw. vor erneutem Schmerz. Ich lasse den anderen nicht mehr so nahe kommen und komme selbst auch nicht mehr so nahe. Ein Teufelskreis und genau das Gegenteil von dem, was ich eigentlich will: dem anderen nah sein. Irgendwann ist der Stapel dann so unerträglich, dass ich es in der Gegenwart des anderen kaum noch aushalte und ich beende die Beziehung. Leider behalte ich den Stapel und die darin gebundene Energie fehlt mir weiter hin.

Und was kann ich nun tun, um den Stapel möglichst klein zu halten?

Die vermutlich beste präventive Maßnahme, um den Stapel klein zu halten, ist Wertschätzung. Drücke ich sie nicht aus, können auch schöne Dinge auf dem Stapel landen. Eine nette Geste, ein Lächeln, die Unterstützung beim Kochen gestern, der schöne gemeinsame Abend. Eben all das, was ich nicht gesagt habe. Etwas schönes, was ich nicht zurück gemeldet habe, ist ebenfalls blockierte Energie.

Reden ist eine gute Möglichkeit. Vielleicht erst einmal mit einem Freund. Denn alleine das Ausdrücken des Schmerzes und das mir jemand zuhört, ohne mich dafür zu verurteilen, sorgt dafür, dass etwas aus dem unbewussten Energiehaufen entweichen kann.

Es hilft ungemein die wertschätzende Kommunikation zu verinnerlichen und jede Auseinandersetzung als Chance zu erkennen, aus den alten Automatismen auszusteigen und etwas gänzlich anderes zu machen. Zum Beispiel sich im größten Streit nackt ausziehen. „Ich mach mich jetzt mal nackig. Alles was ich bisher gemacht habe, war ziemlich nutzlos.“ Ich nenne das, den Raum shiften.

„Es tut mir Leid.“ ist ein toller Satz. Und einfach mal stehen bleiben und die Wut und den Fluchtinstinkt aushalten.

Um direkt etwas vom Stapel zu nehmen, gibt es hilfreiche Techniken. Eine davon ist „Zuhören und Wiederholen„. Ich sage Dir, was mich schmerzt. Du hörst nur zu und wenn ich fertig bin, wiederholst Du mit Deinen Worten was Du gehört hast. (Eine detaillierte Beschreibung dazu gibt es hier.)

Wie steht es um Deinen Stapel?

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