Automatismen und Absicht

Im Alltag begegnen mir immer wieder Situationen, in denen ich weitgehend automatisiert agiere bzw. reagiere. Dabei ist mir meine eigentliche Absicht wenig oder gar nicht bewusst, weil ich mein Verhalten nicht hinterfrage oder prüfe, ob es mit dem, wie ich sein möchte, wirklich übereinstimmt. Es sind diese typischen Kleinigkeiten, die in der Summe einen großen Teil meines Seins ausmachen.

Die folgende Geschichte erzählt davon.

Ich mag mich mit Bart. Zumindest mit einem 3-Tage-Bart. Ich fühle mich damit männlicher. „Männlicher“ im Sinne von „wild“, „frei“, „unabhängig“ und „maskulin attraktiv“. So im Sinne von: Die Frauen liegen mir zu Füßen und die Männer beneiden mich oder würden gerne mit mir in einem Team sein, weil meine positive Ausstrahlung sie inspiriert. Natürlich habe ich auch noch einige andere gute Gründe. Meine empfindliche Haut zum Beispiel, oder die gesparte Zeit.

OK, der wahre Grund für „gesparte Zeit“ ist meist eher „Bequemlichkeit“. Und der „Wilde Mann-Aspekt“ wird dadurch betont, dass meiner Frau die glatte Haut lieber ist und ich somit demonstrieren kann, dass ich nicht immer brav das tue, was sie möchte.

Manchmal rassiere ich mich dann, wenn meine Frau besonders nett war. Oder wenn ich will, dass sie besonders nett ist. Auf jeden Fall ist es ein Ausdruck von „Ich mache mich schön für Dich“ und „Ich mag Dich“, aber vor allem dem Wunsch nach „Mag mich auch und zeige es mir so, dass ich es verstehe!“. Der Wilde-Mann-Teil ist dann meist etwas genervt. „Passt Dich wieder an, ja?“

Es ist mittlerweile durchaus belustigend mir selbst dabei zuzusehen, wie diese kindlichen Automatismen agieren. Lange Zeit war es mir nicht bewusst. Wenn ich es so offen lege ist alles ein wenig albern und entspricht nicht gerade dem inneren Wunschbild von mir selbst. Also verstecke ich es vor anderen und spreche nicht darüber. Mit der Zeit werde ich so gut darin, dass ich es selbst kaum, oder gar nicht mehr wahr nehme.

Genau genommen beginnt dieses verstecken und nicht darüber sprechen bereits in früher Kindheit. So sind die Verhaltensweisen entsprechend kindlich und die Automatismen als Erwachsener bereits lange und tief eingebrannt und so verinnerlicht, dass sie weitgehend unbewusst ablaufen. All das jetzt zu ändern ist eine echte Herausforderung, zumal ich es versäumt habe alternative Handlungsstrategien zu erlernen und zu üben. Übrig bleibt ein unbewusstes (Macht-)Spiel wie dieses, dass auf Dauer wenig amüsant ist und letztendlich mit dazu beiträgt, dass meine Partnerschaft nicht so kraftvoll ist, wie sie sein könnte.

Dabei geht es letztendlich nicht um den Bart, oder die Frau, sondern um meine Absicht. Was will ich wirklich? Wozu entscheide ich mich? Was ist meine Absicht mit dem was ich tue?

  • Will ich gerade einfach bequem sein und was anderes Tun?
    OK, das ist völlig legitim! Tue was Dir gut tut und fühle Dich nicht schlecht oder schuldig, wenn dabei etwas anderes unerledigt bleibt. Entscheide Dich bewusst für etwas und ggf. damit bewusst gegen etwas anderes. Die bewusste Entscheidung wirkt stärkend und befriedigend und ist somit ein wichtiger Schlüssel zum Glücklichsein.
  • Will ich gerade demonstrieren, dass ich mein eigener Chef bin?
    Oder will ich gerade einer anderen Frau imponieren?
    Dann geh‘ an die Frische Luft und schau genau hin, warum das gerade jetzt notwendig zu sein scheint. Wenn solche Machtdemonstrationen notwendig sind, hast Du vermutlich versäumt Dich ausreichend um Dich selbst zu kümmern. Vielleicht braucht es dringend ein klärendes Gespräch mit der Partnerin, denn offensichtlich herrscht gerade Notstand. Oder es ist Zeit für eine Veränderung. Wichtig ist nur, es nicht hinten herum, heimlich zu tun, sondern mit Klarheit und Offenheit.
  • Will ich gerade Anerkennung oder Zärtlichkeit von meiner Frau?
    Prima, dann sag es ihr – so offen, direkt und humorvoll wie möglich. Es wird einen weitaus größeren Effekt haben als die stille Hoffnung, sie möge Dir doch all das geben, wenn sie bemerkt, dass Du Dich für sie rasiert hast. Wenn Du Dich zudem „hübsch“ für sie machst, kann das unterstützend sein. Die Haltung dahinter ist aber kein Betteln der Art „bitte zeig mir, dass Du mich lieb hast“ sondern vielmehr ein Standpunkt: „Hey Frau, ich stehe total auf dich.“ Und dann darfst Du die Braut küssen und sie wird es wegen des weichen, stachelfreien Gefühls besonders gerne erwiedern.

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