Von Männern, Frauen, Märchen und der Liebe – Ein Brief an meine Tochter

Meine liebste Tochter,

es hat mich sehr gefreut etwas darüber zu erfahren, wie es Dir geht, wie z.B. dass es gerade so schwer ist, eine Freundschaft zu einem Jungen aufzubauen, ohne das bei ihm gleich der Wunsch nach mehr da ist.

Ich kenne diese Phase gut und genau genommen wird sie jetzt, wo das gegenseitige sexuelle Erwachen und Interesse bei Dir und den Jungs in Deinem Alter da ist, noch lange Jahre andauern. Du kannst es aber verändern und Wege finden, damit umzugehen. Darüber mit anderen sprechen ist ein erster Schritt. Am effektivsten ist es, mit denen zu sprechen, die es konkret betrifft. (Was am effektivsten ist merkst Du oft daran, das Dein innerer Widerstand dagegen besonders groß ist.)

Wunsch nach mehr

Es ist für mich als Mann heute noch ein Thema. Wenn ich eine Frau äußerlich attraktiv finde, tiefe Gespräche mit ihr habe und auch Spaß und Freude, dann entsteht sehr schnell der Wunsch, mehr davon zu bekommen und dieser Frau auch körperlich nahe zu sein. Diese Frau und all das, was ich durch sie bekomme, ist wie Herz- und Seelen-Nahrung. Nahrung, die ich in dieser Form nur von einer Frau bekommen kann. Es ist, als ob ein Körper-Magnet eingeschaltet wurde.

Es hat mir selbst viele Jahre etwas ausgemacht, dass ich schnell so reagiert habe. Ich habe beobachtet, dass es für Frauen etwas anders ist und fühlte mich in dieser Reaktion ungeliebt. Ich hatte auch den Wunsch, intensiv miteinander in Begegnung sein zu können, ohne das der Wunsch nach mehr so schnell da ist, denn der hat scheinbar genau die Nähe kaputt gemacht, die ich mir so sehr gewünscht habe.

Es entstand dann ein Gefühl von „ich bin falsch“, was dazu geführt hat, dass ich den Wunsch unterdrückt habe. Dadurch war ich dann weniger offen und habe mich zwar weiterhin nach Nähe gesehnt, ihr aber nie den Raum gegeben. Ich hatte mir damals sehr gewünscht, mit Erwachsenen aber vor allem auch mit anderen in meinem Alter darüber zu sprechen. Insbesondere mit den Mädchen. Aber ich wusste nicht wirklich wie und scheinbar waren es Themen, über die niemand sprach. Das bestätigte den Eindruck, dass ich anders bin. Also habe ich geschwiegen.

Der Gedanke, nicht OK zu sein

Die Wahrheit ist: Alle haben diese Themen. Der eine mehr, der andere weniger. Wir haben alle Wünsche und Bedürfnisse und sehnen uns danach, damit OK zu sein. Sie müssen noch nicht einmal immer gleich erfüllt werden, aber da sein dürfen.

Wenn ich den Gedanken habe, es ist für andere nicht OK wie ich bin, beginnt ein Teil von mir sich entweder von den Menschen zu distanzieren, oder sich anzupassen und diesen „nicht OK-Teil“ weg zu drücken. Beides führt dazu, dass ich mich nicht so zeige wie ich bin. In meinem Schneckenhaus wünsche ich mir dann, dass endlich jemand kommt, der mich wirklich versteht und sieht wer und wie ich wirklich bin. Der mich einfach liebt. Wenn derjenige dann kommt, könnte ich mich voll entspannen, müsste mich nicht mehr verstellen und zurück halten. Ich wäre frei und glücklich und alles wäre gut.

Schweigen und Märchen

Das blöde ist: Alle von uns haben solche Gedanken, aber keiner spricht darüber. Und weil niemand darüber spricht, bleiben wir wie abhängig davon, dass endlich die Zauberfee oder der Märchenprinz auf dem weißen Schimmel daher kommt und uns rettet.

Und dann leben Sie Glücklich bis an das Ende ihrer Tage.

So enden viele Märchen und es füllt das Herz mit Freude, so eine wunderbare Prophezeiung für die Zukunft zu hören. Nie wieder Stress und Trauer und Schmerz. Glücklich für immer. Nur leider wieder blöd: Es sind Märchen.

In der Realität werden wir nicht dadurch glücklich, dass ein anderer kommt und uns rettet, sondern dadurch, dass wir aufhören uns hinderliche Gedanken zu erzählen und uns voll uns ganz mit dem zeigen, was und wer wir sind.

Ist es nicht genau das, was wir an Menschen so attraktiv finden? Wenn Sie sich voll zeigen und 100% echt und da sind?

Der nie gelebte Traum

Je länger wir damit warten, um so schwieriger wird es. Denn was wir über lange Zeit gelernt, getan und damit trainiert haben, werden wir auch weiterhin tun – selbst wenn sich die Umstände geändert haben und es uns nicht mehr dient. Oft vollkommen automatisch und ohne darüber nachzudenken. Du kannst es bei vielen Erwachsenen beobachten. Sie sind eingefahren, unflexibel, unlustig und wenig kreativ. Haben ständig irgendwas total Wichtiges zu tun, feiern, lachen und tanzen wenig und messen ihre Zeit in Geld. Gehen ein oder zwei mal im Jahr in den Urlaub, um sich von dem zu erholen, auf das sie in all den Jahren Schule und Studium hin gearbeitet haben. Haben Angst vor Abenteuern und Neuem, sehnen sich insgeheim aber danach und distanzieren sich von Menschen, die diesen Traum leben. Es ist für sie zu schmerzhaft, dadurch an ihren eigenen, nie gelebten Traum erinnert zu werden. Und die anderen sollten es bitteschön auch nicht tun. Das ist ja irgendwie unfair – gegen die Spielregeln.

Es gab immer wieder Situationen, in denen Sie einen Teil von sich selbst weg gesperrt haben. Mit der Zeit ist nur noch wenig von dem wunderbaren Wesen sichtbar, das er oder sie eigentlich war und ist. Sie beginnen, sich über Dinge und Menschen aufzuregen und sich ständig abzulenken anstatt ihr volles Potential zu entfalten, hochgradig attraktiv und wunderbar zu sein und andere zu inspirieren. Im Prinzip sind sie in dem alten, romantischen Märchen-Traum gefangen, das irgendwann der Erlöser kommt, obwohl sie nach all den Jahren schon nicht mehr daran glauben. Und hey, wer soll so jemanden noch finden unter all dem alten Schrott? Und selbst wenn: wie lange wird es dauern, bis der Schrotthaufen beseitigt und all die eingefahrenen Muster wieder in Lebendigkeit transformiert wurden? Welche Zauberfee hat darauf Bock?

Was ich mit all den Märchengeschichten sagen will?

Ich liebe Dich sehr und ich wünsche Dir das Allerbeste und Schönste. Du bist meine Tochter und eine wunderbare junge Frau. Du warst es schon immer. Ich wünsche Dir, dass Du jederzeit Deine Wahrheit sprechen kannst und damit gehört und gesehen wirst. Ich wünsch Dir, dass Du die Märchen der Erwachsenen nicht glaubst, die sie daran hindern, wunderbar zu sein. Das Du Deine versteckten Teile frei lassen und feiern kannst und nie wieder anderen zu Liebe anders bist als Du selbst. Ich wünsche Dir, dass Du den Männern in Deinem Leben mit Liebe, Wertschätzung und Verständnis begegnen kannst und sie wissen lässt, was Du brauchst. Sprich mit Ihnen. Ich bin überzeugt davon, dass Du durch Deine eigene Klarheit genau solche Männer in Dein Leben holen wirst, die Dich verstehen, sehen und wirklich lieben werden – so wie Du bist.

Und ich lade Dich von ganzem Herzen dazu ein, Deine Wahrheit mit mir zu teilen und mich nach meiner eigenen Wahrheit zu fragen und darin herauszufordern. Ich bin da für Dich. Es gibt viel zu entdecken.

Ich wünsche Dir alles Liebe und Gute und drücke Dich

Dein Papa

Kommentare

  1. Nicola Schmidt 27. April 2017 um 16:21 Uhr

    Hey Daniel,

    Danke für diesen Brief!

    Ich wünsche mir daß Du auch darüber schreibst wie wichtig es ist sich selbst zu erfüllen, Selbst- Liebe. Selbst- Wert, und Selbst Bewußt-Sein zu erlangen…können wir nicht dann erst wirklich erfüllt leben, wenn wir selbst in Anwesenheit unseres überausgeliebten Partners ganz in uns selbst ruhend bleiben? .. und dann geht es auch gut und erfüllt ohne Partner!

    Ich wünschte ich hätte so einen Papa gehabt wie Du es bist, der mir so tolle Dinge schreibt, und der so wundervoll andere Menschen coacht!

    DANKE DIR.

    • Daniel Kirsch 27. April 2017 um 17:07 Uhr

      Liebe Nicola,
      es freut mich sehr, dass Dir der Brief gefallen hat. Danke auch für Deine Wertschätzung und die Idee zu einem Artikel über Selbsterfüllung. Ich sehe es auch so, dass wir erst dann wirklich erfüllte Partnerschaften leben, wenn wir nicht abhängig von der Erfüllung durch den anderen sind, sondern uns selbst erfüllen können. Und es ist ein hohes Ideal. Lass Dich davon motivieren und in den Arm nehmen, wenn es mal nicht gelingt.

      In der ein oder anderen Form wird es hierzu noch einiges geben.