Das ist wahre Attraktivität

Wie attraktiv bin ich? Und wie viel davon gestehe ich der Welt und mir zu?

Mein morgendliches „hübsch“ machen besteht meist daraus, dass ich dusche, mir die Zähne putze und die Klamotten vom Vortag anziehe (zumindest die, die noch „sauber“ sind und noch „halbwegs frisch“ riechen). Meist glätte ich noch mit ein wenig Wasser den Haarwirbel, der fast jeden Morgen rechts oben absteht und eine wildere Nacht vermuten lässt, als ich sie erinnere. Mein Sport beschränkt sich im wesentlichen auf die Fahrt mit dem Rad zum Kindergarten vom Junior und dann in die Praxis. Dort esse ich dann meinen Fruchtsalat aus Bio-Obst mit Bio-Mandeln und Bio-Joghurt und trinke mein gefiltertes Leitungswasser aus der Glasflasche.

Alles in allem lebe ich gesund und achte auf mich und meinen Körper. Aber mehr aus einer Art „passiver Grundhaltung“ für die ich nicht viel tun muss, als aus einer kraftvollen Überzeugung, für die ich mich jeden Tag bewusst entscheide.

Lust auf Friseur

So kommt es dann, dass ich oftmals 6 Wochen lang überlege, doch mal wieder zum Friseur zu gehen, bis die Dringlichkeit so groß ist, dass der „ach geht schon noch“-Gedanke sich nicht mehr traut aufzutauchen. Und dann warte ich noch bis Mittwoch, denn da mache ich Nachmittags sowieso frei und habe dann gleich einen Programmpunkt für die Zeit mit Junior. Ja, ich bin praktisch veranlagt.

Löcher im Socken sind nur Äußerlichkeiten

Mit meinen Socken ist es ähnlich. Die „geht schon noch“-Tolleranz, wenn es um die Anzahl oder Größe der Löcher geht, ist auf jeden Fall um ein vielfaches höher, als die meiner Frau. Aber hey, meistens habe ich doch eh Schuhe an. Da sieht man das doch sowieso nicht. Und wenn ich mal auf ein Seminar gehe, bei dem ich in Socken rumlaufe, ziehe ich halt „die Guten“ an. Meistens zumindest. Die Männerabende mit Loch im Socken sind dann immer begleitet von einer Mischung aus Amüsement über mich selbst und „ein wenig unangenehm ist mir das jetzt schon“.

Die Oberflächlichen

Es ist für mich schwer zu verstehen, wie es Menschen gibt, die jeden Tag eine Stunde oder mehr damit verbringen, sich um ihr Äußeres zu kümmern, oder mehr Zeit damit verbringen, neue Klamotten zu shoppen als an der frischen Luft zu sein. In der Vergangenheit war dieses Unverständnis oft Anlass, mich von diesen Menschen zu distanzieren – mit einer Palette von Vorurteilen:

  • Die achten nur auf Äußerlichkeiten
  • Die tragen eine Maske aber zeigen nicht, wer sie wirklich sind
  • Die sind oberflächlich
  • usw….

Genau genommen habe ich damit wunderbar rechtfertigen können, weshalb ich mich um „all diese Dinge“ nicht so bemühe. Denn so oberflächlich wollte ich nicht sein. Lustig wie mein Hirn ein Feindbild kreiert, um das zu rechtfertigen was ich tue – oder nicht tue.

Aber warum brauche ich überhaupt eine Rechtfertigung? Weshalb kann ich den ganzen Quatsch nicht einfach lassen und einfach so sein wie ich bin oder sein will?

Meine inneren Werte

Wenn ich genau hin schaue, gibt es da den faulen Teil in mir. Der ist auch etwas knauserig. (Ob speziell der knauserige Teil jetzt eine Erblast meiner Vorfahren ist, oder woher ich diese Verhaltensweise habe, ist erst einmal egal.) Und dieser Teil paart sich mit dem romantischen Wunsch aus meiner Teenie-Zeit: „so geliebt sein zu wollen, wie ich bin“.

Wer mich wirklich liebt, achtet nicht auf Äußerlichkeiten, sondern sieht meine inneren Werte.

Hach, ja! Wahre Liebe. (Ich sehe mich noch, wie ich als 15 jähriger eine gefühlte Ewigkeit auf ein Mädchen gewartet habe, das nie gekommen ist. Dabei habe ich mir so gewünscht, dass sie meine inneren Werte sieht und zu mir kommt.)

Klar, als ich vor ein paar Jahren wieder Single war, war es mir schon wichtig, dass meine inneren Werte auch sichtbar wurden. Und meine Frau ist mir damals auch nicht nur wegen ihrer inneren Werte aufgefallen…

Dann stelle ich fest, dass ich in der Regel gerne die Menschen anschaue, die zuvor den Stempel „oberflächlich“ bekommen haben und merke, dass ich auch gerne jemand wäre, den andere gerne ansehen. Das ist der andere Teil und er bildet den Gegenpart zum romantisch faulen Knauser. Er sagt, wann es gut wäre, die Haare schneiden zu lassen, zu duschen statt nur Deo zu nehmen und das T-Shirt zu wechseln. Er ist für Waschbrett- statt Waschbärbauch und weiss, was es dafür braucht. Er weiss was gesund ist und das ich nicht wirklich mehr erledige, wenn ich meinen morgendlichen Spaziergang sein lasse, um mehr Zeit für meine ToDo-Liste zu haben.

Innerer Attraktivitätsindikator

Also rechtfertige ich mich genau genommen vor mir selbst und dem Teil, den ich als „Vernünftig“ bezeichne. Er hat Recht. Ja, er ist auch echt anstrengend, aber genau genommen ist er der Indikator meiner wahren Attraktivität. Wenn ich mich viel rechtfertige, oder andere Bewerte, um besser da zu stehen, lebe ich genau das nicht, was mir angeblich so wichtig ist: Meine innere Attraktivität.

Was bringt es meinem Gegenüber, wenn ich innerlich ein feiner Kerl bin, er davon aber nichts mitbekommt?

Es ist eine Kampfansage an meinen eigenen Saboteur und Kleinhalter, wenn ich mich selbst wichtig nehme. Wenn ich auf mein Äußeres achte, mich gut kleide, zum Friseur gehe wenn der erste Impuls da ist und meinen Körper mit Sport und guter Nahrung fit und gesund halte. Ich verlasse die Haltung „wer mich liebt, liebt mich wie ich bin“ und die Hoffnung, dass doch auch bitte jemand kommt und dies tut.

Ich zeige:

  • Ich bin mir selbst wichtig und liebe und achte mich.
  • Ich bin unabhängig und kraftvoll. Du kannst auf mich vertrauen, denn ich werde mich nicht von Dir, Deiner Liebe oder Deiner Wertschätzung abhängig machen.
  • Ich kann gut für mich stehen und werde mich nicht von Deiner Energie nähren, oder Dich verurteilen, wenn du mich nicht nährst.

Menschen, die das zeigen was sie innerlich sind, geben mir die Sicherheit, dass ich auch wirklich den Menschen antreffe, der gestern noch so besonders für mich war. Das ist für mich wahre Attraktivität – zumindest ein Teil davon. Und davon will ich gerne mehr in der Welt sehen. Auch von mir.

Und heißt das nun, dass Menschen, die sehr auf ihr Äußeres achten, all das können? Sich selbst lieben und unabhängig sein und so?

Die meisten wohl nicht, aber für die ist dieser Beitrag auch nicht geschrieben worden.

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